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Tim | 7 Aug 2015

Serien: Von den 50er Jahren zum Komaglotzen

Serien sind extrem angesagt! Längst machen sie mit ihrer aufwendigen Inszenierung großen Kinoproduktionen Konkurrenz und begeistern Zuschauer mit ausgefeilten Charakteren und komplexen Handlungsverläufen. Höchste Zeit also, das Thema etwas genauer zu beleuchten. Wir fangen ganz vorne an und analysieren zunächst die Entwicklung des TV-Formats von damals bis heute. Im Anschluss versuchen wir eine Antwort auf die Frage zu finden, warum Serien gerade jetzt so angesagt sind und was das für Kinofilme bedeutet — dabei lassen wir auch die Elbenwald Community zu Wort kommen. Als krönenden Abschluss gibt’s eine Diskussion zum Phänomen Binge Watching, wie das Zuschauerverhalten den Serienmarkt verändert und ob das jetzt gut oder schlecht ist.

Historie: Damals & Heute

Serien gibt es schon ewig. Das macht es nicht leicht, den richtigen Ausgangspunkt für diesen Artikel zu finden. Fangen wir jetzt mit Guiding Light an, das im Jahr 1952 im Fernsehen anlief? Oder doch lieber bei der gleichnamigen Radiosendung von 1937, immerhin gab’s Serien schon vor dem Fernseher. Nein, das führt zu weit, schließlich nahm das Format wie wir es heute kennen erst in den 1960er Jahren Fahrt auf. In dieser Zeit erblickten einige weltberühmte Serien das Licht der Welt, beispielsweise General Hospital (1963) oder auch Days of Our Lives (1965). Aber selbst das ist noch ziemlich früh, so richtig ging die Entwicklung der modernen Serie im folgenden Jahrzehnt los — als auch die ersten VHS-Systeme auf den Markt kamen … Anyway, der größte Erfolg der 70er ist ohne Frage Dallas! Von 1978 bis 1991 produzierte der Sender CBS satte 357 Folgen über die Familie Ewing. Überhaupt waren Familien-Soaps und eher witzige Serien ziemlich angesagt, doch es tauchten auch die ersten Vertreter des Actiongenres auf, etwa Ein Duke kommt selten allein, Der Sechs-Millionen-Dollar-Mann, Kojak und Starsky & Hutch. Und in den nächsten zehn Jahren sollte sich der Actiontrend fortsetzen…

Die 80er: Starke Männer in Aktion

Die generelle Produktionsqualität bei Serien stieg langsam, aber stetig. Das größte Trendthema der 80er ist mit Sicherheit die Actionserie, davon gab es nämlich eine ganze Menge — die heute fast alle Kultstatus genießen! Beispiele gefällig? A-Team, Ein Colt für alle Fälle, MacGyver, Miami Vice und natürlich Knight Rider! Die Inszenierung ist für damalige Verhältnisse in Ordnung (wir hatten ja nix!), ein Vergleich mit Kinofilmen der Zeit drängt sich aber nicht auf. Überhaupt muss man zugeben, dass das Anschauen dieser Serien heute längst nicht mehr so viel Spaß macht, wie die nostalgieverklärte Erinnerung glauben lässt. Und wo wir gerade bei objektiver Ehrlichkeit sind: Die Protagonisten der Serien waren doch alle ziemlich gleich. Klassische Männerfiguren, die ganz klar auf Seiten der Guten stehen. Starke Frauen? Brauchte man nicht. Anti-Helden? Noch nie gehört. Moralische Fragen? Pfff, ist doch wurscht!

Zwar traten die Actionserien stärker in den Fokus, doch auf die gute alte Comedyserie für die ganze Familie konnte man nicht verzichten. Hier sind die Konstellationen immer sehr klar, thematisiert werden Alltagsprobleme, oft wird dem Zuschauer eine heile Welt vorgegaukelt. Das gilt für Alf, Bill Cosby und Full House genauso wie für Seinfeld oder Wer ist hier der Boss? Das Maximum an Ausnahme waren eher schwarzhumorige Titel wie Eine schrecklich nette Familie oder Roseanne.

Die 90er: Science Fiction & Comedy

Auch in den 90er Jahren gibt es nicht den einen großen Sprung in Sachen Produktionsqualität. Beim direkten Vergleich einer Serie Ende der 90er mit einem Genrevertreter zu Beginn der 80er Jahre ist aber eine klare Entwicklung zu erkennen. Man könnte sich zu dem Statement hinreißen lassen, dass das Serienformat organisch gewachsen ist. Aber zu den eigentlichen Stars der 90er, angefangen bei den Comedies: Wirklich viel hat sich nicht getan, lediglich das Tempo hat deutlich zugelegt — eine Entwicklung, die bis heute anhält. Deswegen funktionieren die Comedies von damals unserer Meinung nach heute noch sehr gut, sei es jetzt Friends, Hör mal wer da hämmert, Frasier oder der Prinz von Bel-Air.

Damit zu den „ernsteren“ Themen, den Dramen und der Action. Die 90er stehen im Zeichen der Science Fiction, und das können wir mit sieben Titeln beweisen: Star Trek: Raumschiff Voyager, Star Trek: Deep Space Nine, Twin Peaks, Akte X, Babylon 5, Stargate und Buffy. Okay, Buffy zählt vielleicht eher zum Thema Fantasy, aber wir wollten der Serie eh noch einen Satz gönnen, also weisen wir kurz gesondert auf die starke weibliche Hauptfigur hin. Eine echte Seltenheit! Abseits dieser Beispiele müssen zwei weitere Serien Erwähnung finden, den Anfang macht das realistische Emergency Room, das dank George Clooney zeitweise zu einer der teuersten Serien aller Zeiten wurde. Bleibt noch ein ganz großes Drama, das zeitlich eigentlich erst im folgenden Jahrzehnt hätte erscheinen dürfen: Die Sopranos. Die Geschichte ist ungemein düster, die Rahmenhandlung ernst, die Charaktere interessant. Auch war der staffelübergreifende Plot wichtiger als gewohnt. Soll heißen: Die Sopranos ist erstaunlich modern und gab einen Trend vor, der die kommenden 15 Jahren bestimmen sollte.

Die 2000er bis heute: Die moderne Serie

Nach der Jahrtausendwende gab es eine wahre Explosion in Sachen Produktionsqualität — und zwar in allen Genres. Die Geschichten wurden ausgefeilter, die Charaktere spannender und die Inszenierung aufwendiger. Spätestens mit der Veröffentlichung von Game of Thrones im Jahr 2011 ist der Vergleich mit Kinoproduktionen nicht mehr weit hergeholt; mindestens genauso bemerkenswert ist die Aufmachung von Rome, das schon 2005 bewies, dass sich Serien vor Filmen nicht verstecken müssen. Übrigens zählen beide HBO-Serien zu den teuersten Produktionen überhaupt, auch wenn Rome nie der Erfolg des ähnlichen gestrickten Game of Thrones vergönnt war.

Aber zurück zu den ganzen Serien, die uns in den vergangenen 15 Jahren beglückt haben. Alle können wir nicht nennen, daher hier nur eine Auswahl: 24, Battlestar Galactica, The Wire, Lost, House MD, Band of Brothers, Dexter, Sherlock, The Walking Dead, True Detective und natürlich Breaking Bad. Alle Beispiele zeigen zwei klare Trends: Das Genre Drama wird immer wichtiger und die Protagonisten sind fast schon Gegenentwürfe zu den Hauptfiguren der 80er und 90er. Saubere Strahlemänner sind out, Antihelden und Soziopathen sind in. Walter White beispielsweise ist der Bösewicht seiner eigenen Serie, Gregory House ein riesiges Arschloch, Sherlock überheblich und Jack Bauer trifft alle naselang irgendeine moralisch fragwürdige Entscheidung. Der Trend zu dieser Art von Figur lässt sich auch ohne Uni-Abschluss in Psychologie einfach erklären: Die Charaktere aus der Vergangenheit haben wir zum einen schon sehr oft gesehen. Gleichzeitig geht es uns in den westlichen Ländern so gut, dass wir in unserer Freizeit etwas brauchen, das uns von der Realität ablenkt und zum Nachdenken anregt. Eigentlich kann man aktuellen Dramaserien nur einen Vorwurf machen: Frauen spielen immer noch viel zu selten eine Hauptrolle. 

Nach den lobenden Worten über die Dramen ist es fast schon langweilig über die Comedies zu sprechen, denn hier hat sich wiederum nicht allzu viel verändert. Das Konzept von Friends lässt sich auch auf Serien wie Scrubs, Big Bang Theory und How I Met Your Mother anwenden. Klar sind in den letzten 15 Jahren viele sehr gute und witzige Serien erschienen, wirklich innovativ waren sie eher nicht. Neu waren einige Themen, die in anderen Jahrzehnten ein Tabu dargestellt hätten, Sex beispielsweise. Außerdem wurden in den Comedies dramatische Momente wichtiger, wie es beispielsweise How I Met Your Mother mit seinem umstrittenen Finale gezeigt hat.

Warum sind Serien heute so beliebt?

Wir könnten es uns leicht machen und einfach sagen, dass wir die einleitende Frage mit der historischen Entwicklung bereits beantwortet haben: steigende Qualität. Hmm, ist vielleicht etwas zu allgemein, schließlich ist Serie nicht gleich Serie. Es gibt auch nicht den einen Grund, warum Serien gerade jetzt so einen Boom erleben. Also schauen wir uns ein paar der wichtigsten Eigenschaften moderner Ableger an, um die Frage etwas detaillierter zu beantworten.

Räumen wir zunächst das Offensichtliche aus dem Weg: die optische Qualität. Was hier in den letzten zehn Jahren passiert ist, ist bemerkenswert, gerade Aushängeschilder wie Game of Thrones können längst mit Kinoproduktionen mithalten. Wo wir schon bei diesem Beispiel sind, viel beeindruckender ist eigentlich, dass die Computereffekte vergleichsweise subtil eingearbeitet wurden. Jeder, der ein Making-of zu Game of Thrones gesehen hat, weiß, wie CGI-lastig die Abenteuer in Westeros sind. Trotzdem fällt das im finalen Produkt nicht auf — ein besseres Zeichen für gelungene Effekte gibt es nicht! Ohne eine Grundsatzdiskussion starten zu wollen, aber vergleicht das mal mit den Computereffekten in der Hobbit-Trilogie. Klar sind die auf dem neuesten Stand der Technik, aber sie fallen auf, und das hat doch so einige Leute gestört. Noch haben moderne Kinofilme mit entsprechendem Budget einen Vorteil beim Wow-Faktor, doch dieser Vorteil beginnt zu bröckeln.

Damit zu den wichtigsten Stärken von Serien: Die Charaktere sind in aller Regel wesentlich besser ausgearbeitet. Kein Wunder, schließlich haben die Macher viel mehr Zeit, eine Figur langsam aufzubauen. Dadurch kann man auch extreme Entscheidungen der Figuren nachvollziehbar erklären, was in einem 100-Minuten-Film deutlich schwieriger ist. Stellt euch mal die Entwicklung Walter Whites vom zurückhaltenden Chemiker zum herzlosen Antagonisten in einem Spielfilm vor. Klar ist das möglich, aber schwierig — und das merkt man Filmen allzu oft an. Besser funktioniert das bei großen Filmuniversen wie dem MCU von Marvel, da sich die Figuren in mehreren Filmen nach und nach weiterentwickeln können.

Was für die Charaktere gilt, gilt auch für die Handlung. Serien sind nicht zuletzt so angesagt, weil die Handlungsverläufe im Vergleich zu den allermeisten Filmproduktionen angenehm komplex sind. Ist ja auch logisch, bei acht Staffeln mit je fünfzehn Folgen kann man nach und nach neue Figuren und Handlungsstränge einführen, ohne den Zuschauer zu überfordern. Netter Nebeneffekt: Dadurch steigt auch die Zuschauerbindung, weil man unbedingt wissen will, wie es mit den liebgewonnenen Charakteren weitergeht. Wichtig ist hier nur die richtige Balance, man darf es nicht übertreiben. Lost ist ein gutes Beispiel für eine Serie, die zu schnell zu viele Fragen und Handlungsstränge gestartet hat. (Ist mir egal, ob ihr anderer Meinung seid.)

All das zusammengenommen, also optische Qualität, gut geschriebene Dialoge, glaubwürdige Charaktere und komplexe Handlungen machen Serien so spannend. Und das wirkt auf den Zuschauer wesentlich innovativer als der nächste Bombast-Peng-Karumms-Actionfilm mit einer Zahl hinter dem Titel. Was allerdings nicht bedeutet, dass bei Serien alles perfekt ist! Tatsächlich sehen wir gerade zwei größere Probleme auf uns zukommen: So könnte der gerade noch gelobte Innovationsfaktor mehr und mehr in den Hintergrund treten, wenn Serien aufwendiger und damit teurer werden. Bei steigenden Produktionskosten sind die Studios bestimmt weniger risikofreudig und investieren nicht mehr in neue (lies: unbekannte) Franchises. Das bringt uns zu einem weiteren Punkt: Schon heute sind gänzlich neue Geschichten Mangelware. Das unterstreichen wir mit dieser Aufzählung: Game of Thrones, Walking Dead, Sherlock, Daredevil, Arrow, Hannibal, The Flash, Under the Dome, Agents of SHIELD — all diese Serien haben eine direkte Vorlage. Ein klarer Trend, der doch ziemlich an die aktuelle Kino-Situation erinnert.

Das sagt die Community

Zu behaupten, dass Serien viel besser sind als Filme, ist einfach. Ein Glück, dass wir das belegen können! Wir haben auf Facebook nach der Meinung der Elbenwald-Community gefragt und fast 120 teils sehr lange und gut begründete Kommentare bekommen. Vielen Dank dafür! Das Ergebnis war ziemlich eindeutig, denn fast alle mitteilungsfreudigen Fans bevorzugen (zumindest im Moment) Serien. Das soll nicht im Umkehrschluss bedeuten, dass Kinofilme scheiße sind, denn das ist nicht der Fall. Es geht mehr um den Trend, lange und zusammenhängende Geschichten zu Hause zu verfolgen statt für eine abgeschlossene Handlung ins Kino zu rennen.

Die Gründe dafür sind vielfältig, wenn auch nicht unbedingt überraschend. Ganz wichtig ist die Verfügbarkeit beziehungsweise die Bequemlichkeit bei Video on Demand-Anbietern wie Maxdome und Co. Hier muss man keine Werbung ertragen, kann Serien schauen, wann immer man will und vor allem auch mehrere Folgen am Stück genießen: „Durch die inzwischen ständig verfügbaren Abrufmöglichkeiten bin ich seriensüchtig geworden. Man hat länger was von einer Geschichte. Vor allem der Vorteil, Serien von Beginn an sehen zu können und keine Folge zu verpassen.“ Im gleichen Atemzug kommt auch das obligatorische Preis-Argument zu Tage, da ein ganzer Monat bei Streaming-Anbieter X weniger kostet als ein das hochpreisige Kinoticket zu Film Y: „Wenn ich für den Preis von zwei Kinotickets eine ganze Serienstaffel bekomme … wie soll man es sich dann überhaupt leisten können, mehr Kinofilme als Serien zu schauen?“

Selbst große Kino-Fans tendieren zur Serie, wie diese Aussage belegt: „Ich bin ein absolutes Kino-Kind und bedaure die Preisexplosion. Kino bietet einfach diesen Wow-Effekt. Groß, dunkel und man erlebt mit ein paar hundert Zuschauern gemeinsam eine Ansammlung von Emotionen. Wenn ich mich an Filme der 90er wie Hot Shots oder Kap der Angst denke: Zwei absolute Gegensätze aber Kassenschlager, bei denen man sich mit einer Menge anderer Menschen zusammen kaputt gelacht oder vor Spannung den Atem angehalten hat. Dieses Gemeinschaftserlebnis kann man zu Hause nur schwer nachahmen. Da ist mir Kino aber einfach zu teuer geworden und ich schaue dort eigentlich nur noch Blockbuster, wenn sie mich interessieren und am ehesten auf die große Leinwand angewiesen sind. Daher bin ich extrem dankbar für qualitativ hervorragende Serien, die ich inzwischen genauso gerne schaue. Auch mal zwei bis drei Folgen hintereinander, um zumindest von der Länge den Kinoeffekt zu haben!“

Spannend fanden wir, dass es doch so einige Stimmen gab, die Serien eine absteigende Qualität unterstellen — was in einigen Fällen bestimmt auch richtig ist. Die überwältigende Mehrheit denkt aber: „Bei den Fernsehsendern, die Serien entwickeln, herrscht schon seit geraumer Zeit Aufbruchstimmung. Momentan schaue ich Heroes. Die ist zwar nicht mehr taufrisch, macht aber richtig Spaß (und bekommt zu recht eine zweite Chance). Die Entwicklung von Serien mit dem typischen „Monster of the week“-90er-Flair hin zu dem was es heute gibt … wow.“ Oder auch betreffend den Innovationsfaktor: „Die Qualität ist nicht unbedingt besser, aber die Ideen. Stichworte: Reboot oder Teil X von einem beliebigen Marvel-Film.“

Wir wollen aber nicht die Argumente für die Kinofilme verschweigen, denn ganz oft hat man gar nicht die Zeit, eine oder mehrere Geschichten über Jahre hinweg zu verfolgen: „[Ich bevorzuge] Kinofilme, für Serien fehlt mir absolut die Zeit. Und Filme werden mitnichten schlechter, wie man dieses Jahr gut gesehen hat: Whiplash, Birdman, Ex Machina …“ Und auch das gemeinsame Anschauen mit Freunden ist bei Filmen einfacher: „Abends schaue ich gerne Filme, besonders mit Freunden. Da finden dann ganze Filmmarathons statt. Das, finde ich, geht mit Serien nicht so gut.“ Gerade die letzte Aussage ist richtig, insbesondere wenn man Binge Watcher ist. Apropos…

Binge Watching: So schaut man Serien heute

Binge Watching gibt es eigentlich schon ewig, trotzdem ist es ein moderner Trend. Bevor wir darauf näher eingehen, müssen wir für die drei Leser, die den Begriff nicht kennen, klären, was Binge Watching ist. Der Begriff leitet sich vom englischen Binge Drinking ab, also dem hemmungslosen Alkoholkonsum. Auf Serien bezogen geht es auch um den exzessiven Konsum, zum Beispiel das Anschauen kompletter Staffeln am Stück. Das klingt, als wäre Binge Watching ein negativer Begriff, doch das Gegenteil ist der Fall! In der öffentlichen Wahrnehmung gilt das intensive Anschauen von Serien nicht als gefährlich, für Fans ist es sogar eine Art Auszeichnung. Bevor wir jetzt die Wissenschaft ins Spiel bringen, noch ein paar Worte zur Entstehung des Trends.

Der Hauptgrund für das Binge Watching ist sicherlich die ständige Verfügbarkeit von Serien bei Streaming-Anbietern (oder illegal im Netz, das ist aber eine andere Diskussion). Tatsächlich stellt diese Verfügbarkeit das gesamte Geschäftsmodell von Serien auf den Kopf, bestes Beispiel dafür ist Netflix. Hier werden mittlerweile etliche Serien selbst produziert und nicht häppchenweise Woche für Woche rausgehauen, sondern eine ganze Staffel auf einmal. Warum auch nicht, diese Herangehensweise bringt einige Vorteile mit sich. Zum Beispiel, dass in aller Regel weniger Menschen an der Story schreiben als bei wöchentlichen Folgen. Das macht es auch einfacher, eine Staffel perfekt durchzuplanen und sich auf bestimmte Teile der Geschichte zu konzentrieren. Die Gefahr, irgendeinen Handlungsstrang zu starten, den man nicht zu Ende führt, ist vergleichsweise gering. Eigentlich gibt es beim Netflix-Modell nur ein Problem: Das Risiko für die Macher. Wie hoch darf das Budget sein? Wie gut lässt sich der Erfolg einer neuen Serie abschätzen? Fragen, die sich im Voraus kaum beantworten lassen.

Moderne Sucht

Der Begriff Binge Watching leitet sich wie oben gesagt vom exzessiven Alkoholkonsum ab. Dementsprechend dauerte es nicht lange, bis die ersten Wissenschaftler mit erhobenem Zeigefinger um die Ecke kamen. Das wird bei Medien ja immer ganz gern gemacht, sei es bei gewalthaltigen Filmen, Videospielen oder gar Musik. Beim Binge Watching dreht sich die Diskussion hauptsächlich um das Suchtpotential, was im Einzelfall ein berechtigter Einwand ist. So erschien beispielsweise diese Studie, bei der die Probanden körperlich stark reagierten, als ihre Lieblingsserie abgebrochen wurde. Eine andere Studie ging einen Schritt weiter und behauptete, dass gerade zu Depressionen neigende Menschen anfällig für das Binge Watching seien. Wir wollen das nicht komplett verharmlosen, es gibt immer Menschen, die es übertreiben. Aber man sollte auch nicht den Teufel an die Wand malen: Nichts spricht dagegen, mal ein komplettes Wochenende einer Serie zu widmen — das sehen übrigens auch die meisten Wissenschaftler so. Wichtig ist nur, dass die Serie nicht den Alltag bestimmt und man weiterhin ein Sozialleben hat. Und sind wir mal ehrlich, die meisten Fans sprechen mit ihren Freunden über Serien, oder?

Wenn wir schon bei negativen Argumenten sind, da gibt es ja noch ein ganz anderes Phänomen: Wer eine Serie angefangen hat, bringt diese sehr häufig auch dann zu Ende, wenn er oder sie gar keinen Spaß daran hat. Dieser Zwang ist heute stärker verbreitet als früher, da keine Woche zwischen zwei Folgen liegt. Und wenn wir ehrlich sind, haben wir dieses Verhalten auch schon bei uns festgestellt. Das passiert recht schnell, wenn eine Staffel nur zehn Folgen umfasst und man schon sieben davon gesehen hat. Andere Leute fühlen sich gar dazu gegängelt, eine Serie möglichst schnell durchzuschauen, aus Angst vor Spoilern — sei es jetzt in Internet-Diskussionen oder im Gespräch mit Freunden.

Die Serie als großes Ganzes

Bleibt noch ein Argument für das klassische Serienmodell: Man nimmt Serien anders wahr, wenn man sie am Stück schaut. Da müssen wir nicht drüber diskutieren, zumal die Aussage keine Wertung in sich trägt; es ist nicht falsch oder schlecht, eine Staffel am Stück zu schauen. Uns missfällt dabei nur eins: Die einzelnen Folgen werden unwichtiger, fallen weniger auf und bleiben nicht so stark in Erinnerung. Das ist besonders schade, wenn es Einzelfolgen gibt, die sich deutlich vom Rest der Serie unterscheiden. Das kann eine Musical-Folge bei Scrubs sein oder auch ein besonders abgedrehter Fall bei House MD (gemeint ist beispielsweise die letzte Folge der ersten Staffel). Besonders schön haben es die Kollegen von Moviepilot auf den Punkt gebracht: „Das Serienformat funktioniert mehr wie eine Collage. Die einzelnen Teile stehen für sich.“

Trotzdem müssen wir zugeben, dass sich das klassische Geschäftsmodell so prähistorisch anfühlt wie Dinosaurier. Der Erfolg von Jurassic World hat aber gezeigt, dass Dinos noch relevant sind! Und es gibt sie noch, die Menschen, die Pausen zwischen zwei Folgen bevorzugen. Einfach, weil man in dieser Zeit das Gesehene verarbeitet, darüber nachdenkt. Und unter Umständen Zusammenhänge sieht, die einem sonst verwehrt geblieben wären. Wir zitieren aus der Community: „Bei Lost hätte man damals etwas verpasst, wenn man zwischen den Folgen nicht an den wilden Diskussionen teilgenommen hätte.“ Oder auch: „Ich mag die Spannung, das Warten und die Vorfreude auf eine neue Folge. Und man braucht bei einer Erstausstrahlung nicht so sehr auf Spoiler aufzupassen. Schlimm finde ich dann nur die Wartezeit auf die nächste Staffel.“ (Ich vergleiche das ganz gerne mit alten Point & Click-Adventures, als man noch kein Internet und keine Komplettlösungen hatte. Wie oft hing man an einem Rätsel und legte irgendwann frustriert die Maus zur Seite? Nur um zu einem ganz anderen Zeitpunkt urplötzlich von einem Geistesblitz überrascht zu werden! Hach, das waren noch Zeiten…)

So schön und romantisch diese Vorstellung auch sein mag, sie ist antiquiert. In unserer Facebook-Umfrage gab es deutlich mehr Fürsprecher für das Modell Binge Watching. Nicht mal das Argument des besseren Verständnisses zieht noch (den folgenden Kommentar haben wir leicht paraphrasiert): „Was soll denn da verloren gehen? Ich sehe beim Binge Watching nur Positives, abgesehen von der veralteten Lagerfeuer-Atmosphäre […] Die kann man heute dank Hashtags oder Foren sogar noch intensiver erleben. Außerdem ist es für vergessliche Menschen einfacher, Dinge aus vorherigen Episoden miteinander zu kombinieren, [wenn man keine langen Pausen hat].“ Auch ist es bei vielen Fans absolut gewollt, eine Serie als großes Ganzes zu erleben: „Ich bin viel zu ungeduldig, um jedes Mal eine Woche auf ein Stückchen des Gesamtkunstwerks zu warten. Außerdem sind Serien inzwischen teilweise so komplex, dass man in Folge fünf nicht mehr weiß, was in Folge eins passiert ist […] Da warte ich lieber, bis alle Folgen verfügbar sind und schaue mir dann den „Film“ komplett an.“

Binge Watching is here to stay

Durch die Vielzahl der Befürworter ist klar: Binge Watching wird immer mehr zur Regel. Das belegen auch die Daten von Netflix aus dem Jahr 2013: Demnach betrachten 73 Prozent der Zuschauer Binge Watching als etwas Positives, 76 Prozent der Streamer schauen mehrere Folgen am Stück. Und satte 79 Prozent sagen, dass Binge Watching die Serienerfahrung verbessere! Die Entwicklung wird sich nicht mehr umkehren lassen, egal was die Wissenschaft oder Kabelnetzbetreiber sagen. Klar, HBO und Co werden ihre Serien weiter Woche für Woche ausstrahlen, der Markt dafür verschwindet ja nicht. Aber immer mehr Menschen werden warten, bis die Staffel (oder Serie) komplett abgedreht ist und sie dann in einem Rutsch genießen. Das hat auch Kevin Spacey erkannt, der die Hauptrolle in der wohl bekanntesten Netflix-Eigenproduktion House of Cards spielt: „Die Leute wollen es so. Wenn sie komaglotzen wollen, dann lasst sie komaglotzen.“ Amen!

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